Als der schwedische Musiker Lars Danielsson zum ersten Mal die dänische Basslegende Ǿrsted Pedersen im Konzert hörte, war er so tief beeindruckt, dass er sich dem Jazz und dem Bass zuwandte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der 1958 in Göteborg geborene Danielsson klassisches Cello am Konservatorium seiner Heimatstadt Göteborg studiert. Glücklicherweise hat er das Cellostudium nicht einfach abgetan, sondern es in seine heutige Tätigkeit integriert. Nicht nur in dem Sinne, dass er das Cello immer in sein Repertoire aufnimmt, sondern auch, dass sein Bassspiel unverkennbar etwas melodiöser, schwebender und lyrischer klingt als das vieler seiner Bassistenkollegen. Das waren die besonderen Qualitäten, die ihn bald international zu einem gefragten Sideman machten. Bereits in den 1980er Jahren arbeitete er nicht nur mit einheimischen und europäischen Größen wie Lars Jansson, Hans Ulrik, Carsten Dahl, Nils Landgren, Christopher Dell, Johannes Enders und Trilok Gurtu (in dessen Gruppe er noch einige Zeit Mitglied war), aber auch mit Koryphäen der amerikanischen Szene wie den Saxophonisten Rick Margitza und Charles Lloyd, den Brecker Brothers, den Schlagzeugern Terri Lyne Carrington, Jack DeJohnette und Billy Hart oder den Gitarristen John Scofield, Mike Stern und John Abercrombie.
Aber Danielsson hat sich nie mit einer Begleitrolle begnügt. Er war immer auch ein kreativer Komponist und gehört zu einer relativ kleinen Gruppe von Bassisten, die sich auch als bedeutende Bandleader einen Namen gemacht haben. Das Ensemble, das Danielsson auf seiner Suche nach musikalischem Selbstausdruck fast 20 Jahre lang die besten Möglichkeiten bot, war sein eigenes All-Star-Quartett mit dem amerikanischen Saxofonisten David Liebman (der früher mit Miles Davis spielte), dem schwedischen Pianisten Bobo Stenson und dem norwegischen Schlagzeuger Jon Christensen. Stenson und Christensen sind beide Pioniere des „Nordic Sound“, der Verbindung von Jazz mit skandinavischem Ethos, und beide sind auch langjährige Künstler des Labels ECM. Vier Alben des Quartetts unter Danielssons Namen und sechs weitere Alben mit Gästen festigten Danielssons Ruf als einer der führenden europäischen Jazzmusiker und erhielten nicht nur begeisterte Kritiken, sondern auch zahlreiche Auszeichnungen. In den letzten Jahren konnte er sein musikalisches Spektrum noch erweitern, beispielsweise als Co-Initiator des Grammy nominierten Orchesterprojekts „Blauklang“ mit Vince Mendoza.
Lars Danielsson Liberetto: Cloudland
In gewisser Weise hat Danielsson 2012 wirklich die Quintessenz seiner vielfältigen Ausdrucksformen gefunden – und auch den richtigen Namen dafür: „Liberetto“. Wer die Attraktivität und die Zugänglichkeit von Danielssons Liberetto-Konzept schätzt, wird die Stücke aus dem neuen Album“Cloudland“ lieben. Alle Erwartungen, angefangen mit der wieder in Hülle und Fülle zu findenden „eleganten Lyrik“ und dem „treffsicheren Groove“, wie es der kanadische Autor John Kelman (All About Jazz) schon 2011 beim ersten Liberetto-Album ausmachte, werden eingelöst. „Ich betrachte meine Kompositionen als Songs“, sagt Danielsson, der die Bedeutung der Melodie nie vergisst. Schließlich, so erinnert er sich noch lebhaft, war sein allererster Musiklehrer ein Organist mit einer Vorliebe für Hymnen.
„Cloudland“ zeigt aber auch Danielssons ganze Bandbreite an Klangfarben und Ausdrucksmöglichkeiten. Zu den gewohnten kommen hier neue dazu. Gleich zu Beginn von „Imagine Joao’“ zum Beispiel, einem Duett mit John Parricelli, trägt er die Melodie mit der Eleganz und Eloquenz des vollendeten lyrischen Bassisten vor, wie wir sie von ihm gewohnt sind. In den letzten sechzig Sekunden von „Villstad“ hingegen sind heroisch-rockige Klänge zu hören, die die meisten Zuhörer wahrscheinlich einer elektrischen Gitarre zuordnen werden. Doch der Schein kann beim Klang-Alchimisten und -Zauberer Lars Danielsson trügen: Er spielt hier ein elektronisch verzerrtes Cello. Neu ist auch das fünfsaitige Hybrid-Bass-Cello, das Danielsson hier erstmals einsetzt, im Eröffnungstrack „Vildmark“ (was so viel wie Wildnis bedeutet) „con arco“, also mit dem Bogen, und in „Tango Magnifique“ gezupft. „Cloudland“ ist auch eine Feier unzähliger Talente, die die Mitglieder von Liberetto in Danielssons Musik einbringen. Sie sind seit einem Jahrzehnt mit seiner Musik vertraut, verstehen sie, schätzen sie, und bringen auf dem neuen Album spürbar die Freude zum Ausdruck, sie wieder gemeinsam zu spielen. Bei „River of Little“ etwa folgt Pianist Grégory Privat dem Thema mit herausragender Präzision, um uns doch zugleich einen magischen Einblick in die Welt der improvisatorischen Freiheit und Fantasie zu gewähren. Wir hören die Bandbreite des Gitarristen John Parricelli: von der nylonsaitigen Zartheit des „Tango Magnifique“ bis zu den Casbahartigen elektrischen Riffs von „Desert of Catanga“. Und Schlagzeuger Magnus Öströms einfühlsame Beherrschung von Timbre und Textur im ruhigen „Nikita’s Dream“ ist atemberaubend.
Besetzung:
Lars Danielsson: Kontrabass, Violoncello
Grégory Privat: Piano
John Parricelli: Gitarren
Magnus Öström: Schlagzeug, Percussions